Interview mit Frieder Lang

Professor für Psychogerontologie

Frieder Lang leitet das Institut für Psychogerontologie an der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg. Er forscht unter anderem zu Gesundheit und Lebensqualität im Alter sowie zu Alter und Technik.

Wem fällt der Umgang mit digitalen Technologien besonders schwer?

Europaweite Studien zeigen: Je nach Land und Alter können etwa 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung als sogenannte „Offliner“ definiert werden. Das bedeutet nicht, dass diese Personen kein Smartphone oder andere Geräte besitzen. Doch sie nutzen weder das Internet noch soziale Medien. Das ist ein relativ hoher Gesamtanteil – und natürlich ist der Anteil bei den älteren Menschen ab 70 Jahren noch höher. Dennoch sind diese Offliner keine homogene Gruppe: Die Menschen haben aus ganz unterschiedlichen Gründen keinen eigenen Zugang zum digitalen Leben.

Welche Gründe sind das? 

An erster Stelle sind gesundheitliche Gründe zu nennen, beispielsweise eine schwere Krankheit oder Pflegebedürftigkeit. Darüber hinaus fällt es Menschen mit verringerter Sehkraft, mit Schwerhörigkeit oder mit kognitiven Einschränkungen schwerer, digitale Endgeräte zu nutzen. Ein weiterer Grund sind die oft hohen Kosten, die Menschen davon abhält, digitale Endgeräte anzuschaffen. Die verschiedenen Geräte sind ja nicht nur teuer, sondern erzeugen fortlaufend Kosten. All diese Gründe können dazu führen, dass sich Menschen von der Gesellschaft abgehängt und ausgegrenzt fühlen. Dieses Phänomen wird in der Wissenschaft auch als „psychologische Obsoleszenz“ bezeichnet. Wir wissen aus unseren Forschungen, dass dieses Gefühl mit Einsamkeit und mit Technikskepsis einhergeht. Es ist nicht das Alter, das Menschen davon abhält, digitale Technik zu nutzen. Vielmehr geht es dabei meist um die Herkunft, den Lebensstil und die persönliche Lebenssituation.

Gibt es dennoch Faktoren, die vor allem auf Ältere zutreffen?

Im Alter verändert sich die Art und Weise, wie unser Gehirn Informationen verarbeitet. Das heißt nicht, dass die Verarbeitung grundsätzlich verschlechtert oder verlangsamt ist. Allerdings verarbeiten ältere Menschen neue Informationen meist unter anderen Gesichtspunkten. Emotional bedeutsame und positive Informationen werden besser verarbeitet als belastende und unerwünschte Nachrichten. Angesichts der knappen Lebenszeit spielt mit zunehmendem Alter auch die persönliche Motivation eine Rolle: Wenn wir älter werden, benötigen wir gute Gründe, wenn wir etwas Neues lernen oder unseren Lebensstil verändern sollen. Ältere Menschen wollen überzeugt werden und die Vorteile der Digitaltechnik für sich erfahren können. Viele Menschen verstehen beispielsweise nicht, welchen Vorteil es hat, das Gespräch mit der Apothekerin, die ihnen lieb ist, nicht mehr führen zu können, wenn Medikamente zukünftig kontaktlos und online über das E-Rezept besorgt werden. Warum sollte eine alleinlebende ältere Dame auf etwas verzichten, was bisher vielleicht ein kleiner Bestandteil ihrer sozialen Teilhabe war? Die Frage ist: Welche Vorteile hat es für sie?

Die Kritik in solchen Fällen könnte lauten: Diese Haltung sei rückwärtsgewandt. Was lässt sich diesem Vorwurf entgegnen?

Unsere Gesellschaft beruht auf einem Generationenvertrag zwischen Alt und Jung. Seit Anbeginn des menschlichen Zusammenlebens wurde Wissen zwischen den Generationen ausgetauscht, wodurch der enorme Fortschritt erst möglich wurde. Jede Generation leistet dabei einen Beitrag. Ältere haben meist ein historisches Wissen und viel Erfahrung, Jüngere streben nach Eigenständigkeit und Neuem. Wandel und Kontinuität, Alt und Jung sind aufeinander angewiesen. Wenn die älteren Generationen nicht am sozialen Leben beteiligt werden, verschwindet wichtiges Wissen. Stellen Sie sich beispielhaft das Szenario eines kompletten Stromausfalls vor: Welches Wissen ist nötig, wenn wir von einem Tag auf den anderen ohne digitale Endgeräte auskommen müssen? Wie organisieren wir unseren Alltag? Ältere Menschen können in so einer Situation viel zur Beruhigung und zum Zusammenhalt beitragen.

Halten Sie es also für entscheidend, dass analoges Wissen und analoge Strukturen bleiben?

Für mich steht das außer Frage: Soziale Beziehungen zwischen Menschen werden analog bleiben. Das menschliche Zusammenleben wird immer Empathie erfordern und die Fähigkeit, einander zu verstehen. In unserem Grundgesetz ist definiert, dass alle Menschen ihr Leben frei gestalten dürfen. Unter den Offlinern gibt es vielleicht einige, die frei von digitalen Medien und digitaler Technik leben und dennoch an der Gesellschaft teilhaben wollen. Hier sollte ein fairer Diskurs geführt werden, der auch Grautöne zulässt, nicht nur schwarz oder weiß, falsch oder richtig.

Werden wir auch in 30 oder 40 Jahren noch darüber diskutieren, dass es wichtig ist, bis dato etablierte Strukturen beizubehalten? Oder werden die, die dann alt sind, ganz anders mit Technik und digitalem Fortschritt umgehen? 

Diese Frage hat man mir schon vor 35 Jahren gestellt, als ich selbst noch recht jung war. Und schon damals gab es die gleichen Themen wie heute. Was wir heute Digitalisierung nennen, war früher die Einführung der Massenmedien oder des Schreibtisch-Computers. Wenn ich jetzt zurückblicke, stelle ich fest: Diese Frage wurde damals nicht anders beantwortet als heute. Ich bin zwar kein Zukunftsforscher, aber ich vermute, es wird auch in 30 Jahren so sein, dass es manchen leichter und anderen schwerer fällt, mit dem gesellschaftlichen Wandel, dem technischen Fortschritt und der Beschleunigung des Alltags mitzuhalten. Empathie und menschlicher Austausch werden aber immer wichtig bleiben, damit Menschen gern leben. Außerdem müssen wir darauf achten, dass altes Wissen und Erfahrung in neue Ideen und Systeme integriert wird und nicht verloren geht. Alt und Jung brauchen einander.

Interview: Kirsten Lange

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